Der Tag war lang nicht so strahlend wie auf der ersten Etappe von Schaffhausen nach Flaach. Ein grauer Himmel begleitete mich. Entsprechend beengend war auch der schmale Rheinuferweg der Via Rhenana. Meist eingeklemmt zwischen Wasser und parallel verlaufender Strasse, drang wenig Licht auf den wurzeligen Pfad.
Ich will die kleinen Träume leben. Davon werden meine nächsten unterwegs Geschichten erzählen. Ich liebe es, kleine und grosse Projekte zu planen. Ehrlich gesagt, habe ich über die Jahre festgestellt, dass ich nicht so sehr plane, als dass ich einfach mache und deshalb werde ich immer mit gewissen ungeplanten Überraschungen konfrontiert.
Jeden Frühling habe ich davon fantasiert, den Weg von Schaffhausen nach Basel dem Rhein entlang zu gehen. Im Frühling deshalb, weil das Laub noch licht ist und die Sicht aufs Wasser auch im dichten Wald möglich ist. Den Reiz von zu Hause wegzulaufen und irgendwann am Ziel anzukommen, ist ein sehr beglückendes Erlebnis. Eine Strecke zu Fuss zu gehen und wahrzunehmen was rundherum passiert, dabei genüsslich den Gedanken nachzuhängen, die Zeit zu vergessen und einfach einen Fuss vor den andern zu stellen, hinterlässt die tiefsten Spuren. Ich kehre erfüllt in den Alltag zurück. Tiefgreifend war vor fünf Jahren mein Weg von Zürich nach Genf über den Jurahöhenweg, von dessen Erfahrungen ich noch heute zehre.
Wenn früher die Tage Frühlingsluft brachten, konnte ich nicht losziehen, sondern ich musste erstmals tatkräftig im Restaurant arbeiten, denn Sonnentage waren Arbeitstage, aber jetzt ist das anders. Schon allein der Gedanke, dass die Sonnentage für meine persönlichen Unternehmungen frei sind, macht mich sehr glücklich.
Leichtes Gepäck, gute Schuhe, Handy, Hundeleine, Geld und Halbtax waren schnell gepackt. Die Wanderkarte schaute ich noch zuhause an, fütterte Lola, meine treue Reisebegleiterin, die schon ganz aufgeregt um mich herumtanzte und los ging es. Beim Güterhof überquerte ich die Brücke nach Feuerthalen und folgte dem idyllischen Fussweg entlang dem Rhein. Einer Parkanlage ähnlich ist er angelgt, leicht abfallend dem ungetrübten Rhein zu. Ein paar Taucherli flatterten übers Wasser, während im nahen Wald die Vögel ihre Gesänge probten.
Bevor der Weg zum Schloss Laufen am Rheinfall rauf führte, gingen wir auf kleinen Pfaden oberhalb des Dorfes und durch das langezogene Flurlingen hindurch. Den Rheinfall kenn ich gut und doch ist man immer wieder fasziniert von der Wucht des Wasser und den kantigen Felsen. Einzig die Sicht zum andern Ufer entspricht so gar nicht der Romantik des Wasserfalls. Die Uferlinie entlang des Beckens ist geprägt von ungepflegten Gebäuden und Betonbauten, verstärkt durch die sichtbar, grosse Tunnelbaustelle am Hang. Ich schaue mit den Augen des Touristen und gehe weiter.
Ich habe mich entschieden auf der linken, im Kanton Zürich liegenden Seite zu gehen, obwohl schattig, verspreche ich mir eine schönere Sicht auf den sonnendurchzogenen Frühlingswald und es sind weniger Menschen unterwegs. Nur eine Handbreit oberhalb des Wasserspiegels führt der schmale Weg nach Dachsen. Bemooste Bunker, die in Kriegszeiten zur Grenzverteidigung dienten, stehen nah am Wasser und lassen einem die Geschichte von damals bewusst werden. Hier durchschwommen Flüchtlinge auf abenteuerliche Weise den Fluss hinüber in die vermeintliche Sicherheit. Die grünen Grenzen sind noch heute sichtbar, aber vorallem auf der Landkarte.
Die Strecke nach Rheinau war einmalig schön, offene Wälder, Wurzelpfade, Wiesen mit ersten Weidenbäumen, die im gelbgrünen Frühlingskleid unter der Sonne leuchteten. Davor glückliche Pferde auf den Koppeln. Oft sah man kaum zum Rhein hinunter einzig die türkisne Farbe des ungetrübten Wassers verriet den Flusslauf. Sich Rheinau zu nähern, war eine Offenbarung. Ist es der Kraftort, den man so intensiv wahrnimmt oder die besonders einmalige Lage des Klosters, das hell erleuchtet war von der Sonne. Freche Drachen an den Dachrinnen verleihen dem Kloster eine exotische Note. Ich gehe entlang der Flussschlaufe, nicht weil ich das so möchte, sondern weil ich es versäume die Abkürzung durch das Dorf zu nehmen.
Der Weg führt durch Einfamilienhausquartiere. Alle nutzen die Sonnenstunden, um im Garten zu arbeiten. Katzen geniessen wärmenden Strahlen auf dem Pelz, Kettensägen ertönen aus mancher Waldparzelle. Nach dem Kraftwerk in Rheinau sind der Wasserlauf und das Ufer anders. Es fliesst weniger Wasser, die Ufer werden steiniger, der einst majestätisch spiegelglatte Rhein verkommt zum quirligen Gewässer. Irgendwann denke ich, dass es wohl die Thur sein muss. „Habe ich mich verlaufen?“ Hier beginnt der Irrtum, der mich letztendlich zwei Stunden zusätzlichen Weg kostet. So sieht die Thur tatsächlich aus, an dessen Ufern wir früher spazierten und Servelat gebraten haben.
Ich erreiche über wunderbar sonnige Pfade Ellikon. Zweifellos muss es Ellikon an der Thur sein, bekräftige ich meinen Irrtum. Der idyllische Weg endet an der gemütlichen, gut besuchten Schönwetter Beiz direkt am Wasser. Um zurückzufahren, suche ich mir eine Verbindung auf dem Handy raus und freue mich darauf, bald im Bus zu sitzen. „Wo befindet sich die Haltestelle?“ erkundige mich am brutzelnden Grill. Ein junger Mitarbeiter schüttelt den Kopf, runzelt die Stirn und meint, er kenne keine Haltestelle. Ich denke mir: „Der hat keine Ahnung“. Aber als ich Dorf aufwärts nirgends eine Bushaltestelle finde, dämmert mir mein gewaltiger Irrtum. Wo liegt eigentlich Ellikon an der Thur? Auf jeden Fall nicht hier, denn ich bin in Ellikon am Rhein abseits der ÖV. Einmal mehr schmunzle ich über mich. Denn so bin ich. Überzeugt alles im Griff zu haben, um festzustellen, dass sich alles ganz anders verhält. Mein iphone verrät mir, dass der nächste Bus von Flaach aus fährt und ich in eineinhalb Stunden dort sein werde. Noch ahne ich nicht, dass diese Fehleinschätzung mich durch die wunderbarste Auenlandschaft führt, vorbei an weiten Landflächen, die renaturiert wurden, an Uferstücken, die abgesondert wurden, um die Landschaft zu schützen. Es ist die Auenlandschaft an der Thurmündung, ein Biotop von nationaler Bedeutung. Ich bin entzückt über meinen Fehler, obwohl die Füsse wund sind und Lola nur langsam hinter mir her trottet. Ich lausche den Vögeln, den Schreien der Milane, die ihre Flugroute verraten, Lola erwacht zur Mäusejagd und ich sauge den Geruch der Erde in der Sonnenwärme ein. Je näher wir zu Flaach kommen, ist auch die Vegetation fortgeschrittener. Die Natur ist hier fortgeschritten im Land des weissen Spargels.
Endlich sehe ich die Bustafel und schon bald steigen Lola und ich in den Bus nach Henggart, wo wir den Zug nach Schaffhausen nehmen.
Lange zögerte ich am Flughafen Singapore den Kleiderwechsel vor der Heimreise hinaus. Sandalen tauschen gegen geschlossene Schuhe mit Socken, kurzer luftiger Rock gegen Jeans, T-shirt gegen Pulli und Windjacke. Es waren Handlungen, die ich nur widerwillig machte. Als sich frühmorgens nach der Landung in Kloten die Flugzeugtüren öffneten und mir erstmals Luft entgegenstemmte, spürte ich schmerzlich mit jedem Schritt meine Heimkehr. Es war morgens um sieben Uhr, trüb, nass und kalt. Tränen füllten unverhofft meine Augen. „Wie undankbar kann man sein“, schimpfte ich mit mir. „Ich bin gesund, habe viel Tolles erlebt, werde von Linda und Johnny erwartet und alles ist gut,“ erklärte ich meiner Traurigkeit. „Alles hat irgendwann ein Ende, reiss Dich zusammen, denn Du weisst, alles kommt gut.“ Trotzdem fiel mir die Heimkehr sehr schwer. Das war schon immer so. Die Gründe liegen in meinen ersten Kinderjahren. Auch das weiss ich. Es hat nichts mit dem Daheim zu tun, denn ich könnte es nicht besser haben und irgendwann wird Freude über die Rückkehr aufkommen.
Wie völlig anders gestaltete sich unser Ausflug auf Bali, nach dem Naturerlebnis der Warane auf Komodo. Schon bei der Einfahrt nach Benoa, dem Hafen von Bali kam uns Nebel entgegen. Der Himmel war verhangen, als wir in den grossen Hafen einkurvten. Die tiefe Fahrtrinne mäanderte entlang der durch die Ebbe freigelegten Sandbänke, die beidseitig von einheimischen Fischern gesäumt war.
Als ich erwachte, waren wir bereits in eine unerwartete Inselwelt eingedrungen. Rund herum lagen grasgrüne Mooskissen im glatten Meer verstreut. Von der Sonne beschienen, war ihre schmuckhafte Erscheinung anmutig und zum Streicheln verführend. Es waren sanfte, vom Wetter ausgewaschene und abgerundete Hügel, die wie mit einem dicken, grasgrünen Veloursvorhang überworfen, im dunkeln Wasser lagen. Die Einfahrt mit unserem mächtigen Schiff zum abgeschiedenen Ankerplatz vor Komodo ist tatsächlich ein beinahe gewalttätiges Eindringen. Wir staunen immer wieder wie manövrierfähig und geschmeidig die Columbus2 dennoch ist.
Es gibt Tage, da verbringen wir den ganzen Tag an Bord. An einem solchen Seetag, wurde verkündet, dass es über Mittag ein Fischbuffet auf Deck geben würde.
Ungeduscht und halb angezogen, stürze ich noch in der Dunkelheit aus der Kabine, eile den langen Kabinengang entlang zum vorderen Treppenhaus, erklimme zwei Tritte aufs Mal und eile zur Reling hin. Sonnenaufgang vor Darwin. Noch ist der Himmel tiefes Königsblau mit kräftigen rotvioletten Streifen und Flecken, Feuerflammen züngeln in den Tag und zuoberst brilliert die Venus. Der Himmel ist dramatisch, theatralisch dieser Tagesanbruch, denn er ist mein letzter in Australien.
Von Cairns werden wir mit einem Reisebus hundert Kilometer entlang der mit Sandstrand und Kokospalmen gesäumten Küste zum Daintree River ins nördliche Queensland entführt. Es weht ein schwüles, feuchtes Tropenlüftchen. An grossen Zuckerrohrplantagen vorbei, entlang hoher Berge mit wucherndem Regenwald erreichen wir den Mossman Nationalpark, einem Schutzgebiet der Aborigines.
Schneller als erwartet, habe ich in Townsville ein wunderbares Gäste-Wifi gefunden. Wir sitzen beim herrlichen australischen Cappuccino und geniessen einen Tagesausflug in der tropisch feuchten Hafenstadt. Da die folgende Geschichte schon bereit liegt, nutze ich die Gelegenheit, sie auch zu senden. Wer weiss, wo wir danach landen. Die Sonne scheint bei 29 Grad, ein sanftes Lüftchen wirbelt durch die Strasse und wir lassen uns durch den Tag treiben.